Energische Stirnküsse zur Premiere in Apolda
Auftakterfolg: Mit dem Curt-Goetz-Stück „Hokuspokus“ beweisen die
Schauspieler des Apoldaer Amateurtheaters erneut ihre Klasse
04. Februar 2019 / 02:45 Uhr
Ganz wunderbare
Schauspieler: Quasi zum Inventar des Apoldaer Amateurtheaters (AAT) gehören
Joachim Treiber, Martin Vollrath und Mario Schiege (von links). Hier sind
sie in den Rollen Schauspieler Elfzenthal, Theaterdirektor Emanuel Reibach
und Dichter Dr. Dummrian im neuen Stück „Hokuspokus“ zu sehen. Foto:
Dirk Lorenz-Bauer
Apolda. Am Ende des Samstagabends, der dem Publikum sogar kostenlos „Pommery“
im Sektglas bescherte, verteilte Martin Vollrath auf seine zackig-raubeinige
Art Stirnküsse. Zwei Mal. Und das in der Rolle als strenger, zuweilen
selbstgefälliger Theaterdirektor Emanuel Reibach.
Einen der heftigen Schmatzer erhielt sein zumindest ein wenig einfältig
wirkender Hausdichter Dr. Dummrian (Mario Schiege) auf den Frontallappen
gedrückt. Der hatte nämlich im Nachspiel der sinnig geflochtenen
Rahmenhandlung des Curt-Goetz-Klassikers „Hokuspokus“ ein neues Stück
aus dem Handgelenk gezaubert, welches das Reibachsche Pleitetheater dank
Popularität retten könnte. Zunächst wurde das dem
kassenschlagerverdächtigen „Lugemal Miramteller“ zugeschrieben.
Den anderen Kuss gab es bei der Premiere von „Hokuspokus“ im Apoldaer
Amateurtheater für Erika Block. Die langjährige Spielleiterin teilt sich
die Arbeit beim neuen Stück mit Lukas Reuter, womit Erika Block den
Generationenwechsel einläutete. Sie bedankte sich unter heftigem Applaus
für die jahrelange Treue des Publikums, ihr tolles Ensemble, brach unter
den Blumensträußen fast zusammen und erhielt als Dreingabe besagten
Vollrath -Kuss.
Falsche Fährten und etliche Aha-Momente
Die Spielleitungskooperation der Generationen jedenfalls gelang aufs
Allerbeste. Das Publikum geriet am Samstagabend ob der klug konstruierten
Verwicklungen, falschen Fährten und etlicher Aha-Momente im Kulturzentrum
Schloss Apolda schier in Verzückung. Während Erika Block also das Vor- und
das Nachspiel verantwortete, übernahm Reuter den Hauptteil. Beides gelang.
Den Abend dürfte kein Gast bereut haben.
Zunächst beginnt das ganze Theater, in dem es sich letztlich um die Liebe
dreht, mit einer Krisensitzung. Der Theaterdirektor lässt die „böhmelnde“
Kassiererin Zwirschina – top besetzt mit Helga Schnetter – auf die
betrüblichen Fakten in der Kasse blicken und verkündet hernach, dass es
mit dem Laden nun aus ist. Die Gründe sind klar: Das Personal taugt nichts.
Deren kulturelle Impotenz bereite ihm quasi sein Grab. Erst recht der
Dummrian, der ja nix liefere, poltert Reibach los. Bloß zum Bierholen kann
man ihn gebrauchen. Der Tollpatsch marschiert gehorsam los, während die
letzte Chance fürs Haus, eben das Stück „Hokuspokus“, in den
Probebetrieb geht, wobei es den Zuschauer auch in einen Gerichtssaal
verschlägt.
Verhandelt wird dort der mutmaßliche Mord der verführerisch
dreinblickenden Agda Kjerulf (Diana Thein) an ihrem älteren Maler-Gatten.
Kokett und ihres Freispruchs sicher tritt die Dame auf. Bei einer
Bootspartie soll der Mord nach der Vorstellung von Staatsanwalt Tommy
Wulkens, alias Joachim Treiber, geschehen sein. Die Flecken am weißen, blau
betupften Kleid könnten indes auch solche von Gras und wegen eines
Liebesspiels eben dort auch auf den Stoff geraten sein, was Eusebio Eunano
(M. Schiege) von der „Wäscherei Böhm“ näselnd und am Hut nestelnd bei
der Befragung vor Gericht eilfertig bestätigt. Der Staatsanwalt versucht
dennoch, aus Tatsachen und Vermutungen handfeste Beweise gegen Agda zu
stricken, was der smart und distinguiert auftretende Rechtsanwalt Dr. Peer
Bille (André Weinberger) zu verhindern weiß. Mit Weinberger hat das
Amateurtheater inzwischen neben den alten Hasen ein weiteres Talent auf den
Brettern.
Von André Weinberger ist noch viel zu erwarten
Er trat als Peer Bille bereits zuvor in Erscheinung, als er dem zunächst
zur Verurteilung von Agda neigenden Gerichtspräsidenten Severin Gantrup
(Martin Vollrath) am Beispiel einer fingierten Gift-Mord-Geschichte bewies,
wie schnell man einen Unschuldigen einer vermeintlichen Straftat
überführen kann. Kurzum: Die Manipulation lauert überall, weswegen es
gilt, genau hinzusehen. Schlussendlich wird die Schöne, diese „kleine
verlorene Ziege“, die bereits neues Leben unterm Herzen trägt, nicht
verurteilt. Kindsvater – und das ist eine der Überraschungen – ist der
Mann, den sie angeblich ermordet haben soll. Indes, er ist quicklebendig,
nun aber aalglatt rasiert und seine Gemälde verkaufen sich nach seinem
vorgetäuschten Tod endlich auch wie geschnitten Brot. Tja, was wollen
Kjerulfs mehr.
Das Stück trifft den Nerv von Reibach , der die Renaissance seines Theaters
wittert. – Auch das Publikum vor der Bühne ist rasend vor Begeisterung.
„Es lebe der Kitsch, der aus der Hand geschüttelt wird.“ Es lebe
Dummrian. Es lebe das, was gekonnt und insbesondere gewollt ist. Dass
Letzteres auf das neue, großartige Stück zutrifft, kann hier zweifelsfrei
bejaht werden.
Dirk Lorenz-Bauer / 04.02.19, Thüringer Allgemeine:
|